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Senf dazu: Unfertiges Cyberpunk 2077 - Debakel mit Anlauf und Folgen

Vergangene Woche ist Cyberpunk 2077 erschienen und der Hype rund um das Spiel des polnischen Entwicklers CD Projekt Red war gewaltig, viel­leicht war es sogar das meistgehypte Spiel aller Zeiten. Doch mitt­ler­weile machen sich Ernüchterung, Enttäuschung und Wut breit.
14.12.2020  13:58 Uhr

Es war einmal vor zwölf Jahren...

Es war das Jahr 2008, Gamescom, damals noch in Leipzig: Ein paar sympathische Polen ver­teil­ten auf den Gängen Flyer an die anwesenden Journalisten, um mit geringem Budget, aber viel Herz auf ihr nächstes Spiel aufmerksam zu machen: "The Witcher 2: Assassins of Kings". Der Autor dieser Zeilen weiß nicht mehr, mit wem er damals über das Spiel geplaudert hat, aber es ist durchaus möglich, dass es einer der heutigen Chefs war, also Adam Kiciński oder Marcin Iwiński. Diese (und andere) Namen stehen heute unter einer kleinlauten Entschuldigung, die CD Pro­jekt Red auf Twitter veröffentlicht hat. Also eben jenes einst kleine sympathische Studio aus War­schau, das sich seit dem ersten The Witcher gegen alle Widrigkeiten mit aus­ge­zeich­ne­ten Games hochgearbeitet hat.

Die Jungs von damals haben teilweise die Kapuzenpullis längst gegen Anzüge und Krawatten getauscht. Kein Wunder: CD Projekt Red ist längst eine der wichtigsten Stützen der pol­ni­schen Wirtschaft. The Witcher 3 war bereits ein weltweites Phänomen, Cyberpunk 2077 stellt den letzten Ausflug von Hexer Geralt aber noch einmal in den Schatten.

Debakel 2077

Doch seit letzter Woche wissen wir: Cyberpunk 2077 ist ein mittelschweres Debakel, wirt­schaft­lich für CD Projekt Red (der Aktienkurs ist seit Veröffentlichung im Sturzflug) und vor allem für viele Käufer. Denn hunderttausende und vielleicht sogar Millionen an Kunden muss­ten fest­stel­len, dass sie ein durch und durch unfertiges Spiel gekauft haben.

Und damit meinen wir nicht einmal die Tatsache, dass alle Versionen einen gigantischen Day-0-Patch erfordern, damit haben sich Gamer seit Jahren abgefunden. Nein, gemeint ist die Tatsache, dass Cyberpunk 2077 auf PlayStation 4 und Xbox One praktisch unspielbar ist. Auf den alten Konsolen, die mit gewaltigen Abstand die am weitesten verbreiteten Spiel­ge­rä­te darstellen, hätte Cyberpunk 2077 schlichtweg in dieser Form nicht erscheinen dürfen.

Cyberpunk 2077: Atmosphärischer Trailer stimmt auf den Release ein
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In Diskussionen zu diesem Thema fallen als Argument immer wieder folgende zwei Punkte: 1. Ich habe keine Probleme, auf meiner PS5/Xbox Series X oder meinem PC läuft es ok, und 2. selbst schuld, es sind eben alte Konsolen, was erwartet ihr auch?

Erstens: Schön für euch. Dass ihr eine neue PlayStation oder Xbox bekommen konntet und auch, dass ihr euch eine neue Konsole überhaupt leisten könnt - in Zeiten der Pandemie ist letzteres für viele nämlich keine Selbstverständlichkeit.

Zweitens: Das ist kein Argument. Cyberpunk 2077 ist nun einmal für PS4 und Xbox One ver­füg­bar. Wenn die beiden alten Konsolen zu alt für das Spiel sind, dann hätte man es ein­fach lassen sollen. Aber das konnte sich CD Projekt Red nun einmal nicht leisten. Also ent­schied man sich offenbar, wissentlich ein völlig kaputtes Spiel auf den Markt zu bringen.

Kassieren und dann zu Kreuze kriechen

Nun entschuldigt man sich kleinlaut und erklärt im heutigen Statement, dass man PS4 und Xbox One "mehr Aufmerksamkeit" hätte widmen sollen. Sorry, aber das ist Bullshit: CD Pro­jekt Red hat das Spiel mehrfach verschoben, weil "Feinschliff" nötig war und monatelang in Über­stun­den versucht, wie wir jetzt wissen, um zu retten, was zu retten ist. Jetzt zu be­haup­ten, dass man das alles unterschätzt hat, ist eine glatte Lüge.

CD Projekt Red verspricht, dass im Januar und Februar große Patches folgen, die die größten Probleme beheben sollten. Wie bitte? Im schlimmsten oder besten Fall haben Käufer also zwei Monate lang ein Produkt, das sie nicht nutzen können, zu Hause.

An dieser Stelle sollten sich übrigens auch Sony und Microsoft die Frage stellen, wie man Cy­ber­punk 2077 überhaut zertifizieren konnte. Hat man sich schlichtweg auf die Zusagen ei­nes Ent­wick­lers verlassen, dass er das schon hinbekommen wird? Wenn ja, dann sollte man drin­gend über­le­gen, ob man in solchen Fällen Fakten oder Wunschdenken entscheiden lässt - und eben auch einmal sagt: Nein, so nicht, liebe Freunde.

Es ist klar, warum Cyberpunk 2077 erschienen ist, ja erscheinen musste: CD Projekt Red konn­te nicht anders. Denn man konnte sich ei­ne weitere Verschiebung nicht leisten, zu viele hät­ten die Vorbestellungen storniert und man hät­te auch das lukrative Weihnachtsgeschäft verpasst.

Das kleine sympathische Studio von damals ist nicht mehr. Das ist einerseits gut, denn Block­bus­ter wie The Witcher 3 oder Cyberpunk 2077 wären sonst nicht möglich. Mit der Ver­öf­fent­li­chung der PS4- und Xbox One-Version hat man sich aber keinen Gefallen getan. Denn zu­rück bleibt ein Image-Schaden, den man wohl noch Jahre spüren wird, da macht es auch keinen Unterschied, dass man nun unkomplizierte Rückgaben ermöglicht.

Ist CD Projekt Red an allem schuld? Nein, natürlich nicht, für die wirtschaftlichen Zwänge, die sich ab einer bestimmten Unternehmensgröße ergeben, kann man nicht direkt etwas dafür. Und dennoch: CD Projekt Red und andere Unternehmen sollten sich wieder dringend be­wusst werden, was unser aller liebstes Hobby so besonders macht: die Spiele. Und nicht die Geschäftszahlen für die Aktionäre.

Wir Spieler sollten hingegen aufhören, Entwicklern unser blindes Vertrauen zu schenken - und Spiele schlichtweg nicht mehr vorbestellen. Wie auch immer: So etwas wie Cyberpunk 2077 darf einfach nicht mehr passieren.
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